Begegnungen…

Wir haben uns in der Stadt getroffen, haben gemeinsam gegessen und Kaffee getrunken. Es ist ungefähr nachmittags.

Da ich nichts weiter vorhabe, beschließe ich, nach Hause zu fahren. Ich laufe die paar hundert Meter zur Ubahn-Station und steige in „mein“ Ubahn ein, die passenderweise gerade einfährt. Ich suche mir einen Sitzplatz, denn ich trage noch meinen Rucksack mit mir und der wiegt so einiges. Laptop und Literatur fordern ihren Tribut.

Gegenüber von mir sitzt SIE. SIE fällt mir direkt auf, auch wenn ich nicht weiss, wieso. Ich schaue SIE an. Natürlich immer nur kurz und unauffällig. Wobei IHR es sowieso nicht auffällt. SIE schaut niemanden an.

Ich sehe SIE genauer an und mir fällt auf, ich kenne diese Frau. Aber woher nur? SIE ist ungefähr 50, schätze ich. SIE sieht weder besonders auffällig aus, noch ist SIE besonders auffällig gekleidet. Das einzige charakteristische an IHR sind die Augen: Jetzt gerade wirken sie müde und eher kaputt. Aber ich erinnere mich an diese Augen, sie können auch scharfsinnig und klar und blau strahlen. Aber, verdammt noch mal, woher kenne ich SIE?!? Und warum wirkt SIE so müde?

Ich denke nach, durchforste mein zugegebenermaßen nicht besonders außergewöhnliches Personengedächtnis. Vielleicht die Mutter eines Freunds? Nein. Eine Mitarbeiterin aus der Uni? Unwahrscheinlich. Eine Nachbarin? Fühlt sich immer noch falsch an.

Plötzlich fällt es mir ein: Die mir gegenübersitzende Dame ist Kellnerin in einem Restaurant, in dem ich schon zwei- oder dreimal war. Sie ist diejenige, die bei der Arbeit immer gut gelaunt und professionell wirkt – wenn auch manchmal mit der hier eigenen Rauheit. Und jetzt sitzt SIE mir gegenüber und sieht müde aus. Da ist keine Freude in IHREM Blick erkennbar.

Ich möchte SIE ansprechen. Möchte „Hallo“ sagen. Möchte ihr etwas aufmunterndes sagen, auf dass SIE wieder fröhlicher sein kann. Irgendetwas. Möchte mich am liebsten bedanken, ihr sagen, dass SIE ein Grund dafür ist, dass ich, neben dem guten Essen, gerne in das Restaurant gehe oder so etwas.

Und mein Mund bleibt verschlossen. Denn was steht es mir schon zu einen Menschen in der Ubahn anzusprechen? Und ich steige aus, vielleicht ein bisschen weniger fröhlich als vorher. Und SIE wirkt immer noch müde. SIE fährt weiter. Vermutlich zur Arbeit.

4 Gedanken zu “Begegnungen…

  1. Zur Studentenzeit (9 Jahre, inklusive Promotion) bin quasi täglich mehrmals Strassenbahn gefahren. Also ca…. eine zillion Mal. Dabei sah ich öfters Gesichter, die ich ganz sicher irgendwo her kannte, aber wo bloß? Des Rätsels Lösung war ganz oft: Aus der Straßenbahn! Wenn man jemand im Laufe einiger Monate zum wiederholten Mal in der Straba sieht, dann glaubt man, ihn irgendwo her zu kennen..
    Heute fahre ich Bus, das was anderes. Dort fahren fast immer die gleichen Leute mit, die assoziere dann sofort mit „Bus“.

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  2. Tja,
    hättest sie ruhig ansprechen dürfen. Vermutlich hätte sie sich gefreut und anschließend ein Lächeln auf den Lippen gehabt.

    Während meiner Zeit im Einzelhandel, in der ich überwiegend an der Kasse saß, haben sich mein Gesicht irre viele Kunden gemerkt. Hätte ich nie gedacht. Und haben dann fast alle gegrüßt – natürlich an unterschiedlichsten Orten. Mitten in der City (ca. 6 km vom Markt entfernt), in der Straßenbahn, auf dem Markt … wo auch immer sie mich sahen. Meist sah ich sie erst gar nicht, denn man hatte ja hunderte von Kunden pro Tag. Irgendwann habe ich mri dann auch das ein oder andere Gesicht gemerkt – und das als Gesichtslegastheniker 😉

    Und ja, ich fand es nett, gegrüßt zu werden. Hat mir dann doch immer einen netten Gedanken oder ein Lächeln beschert. Hat dazu geführt, dass ich mir heute schon versuche, Namen von Mitarbeitern zu merken und diese auch grüße, wenn ich sie sehe und wiedererkenne.

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    1. Beim Supermarkt, keine Ahnung, würde ich es glaub ich eher. Hatte in dem Moment halt auch das Gefühl, es kommt nicht so gut, wenn ich als Jungspund quasi „schon“ manchmal essen gehe…aber vielleicht sehe ich das zu kompliziert, da hast du schon recht.

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